Nichts rechtfertigt Krieg! „Dann gibt es nur eins! „Sag Nein!”

Eugen Drewermann am Ostermarsch in Bremen 2023

Von Arbeiterfotografie: “Das Bremer Friedensforum, Veranstalter des Ostermarsches in Bremen, bei dem Eugen Drewermann gesprochen hat, schrieb unter dem Motto “Den dritten Weltkrieg verhindern. Diplomatie statt Eskalation”: “Nichts rechtfertigt Krieg. Das gilt für alle Kriege. Kein Krieg führt zum Frieden, auch nicht der Krieg in der Ukraine. Eine weitere Eskalation dieses Krieges ist jederzeit möglich, mit Angriffen auf das Territorium Russlands, einer Ausdehnung des Militärbündnisses der NATO, der Havarie eines Atomkraftwerkes im Kriegsgebiet oder dem Einsatz von Atomwaffen. Wir begrüßen die Friedensinitiativen von Brasilien und China. Sie betonen, dass nur internationale Verhandlungen und Diplomatie den Krieg der Ukraine sowie alle anderen Kriege in der Welt (z.B. im Jemen, in Mali, Syrien und Äthiopien) beenden können. Der Westen geht auf die Initiativen Brasiliens und Chinas nicht ein und forciert seine Waffenlieferungen in die Ukraine und andere Kriegsgebiete. Er ist erst zu Gesprächen und Verhandlungen bereit, wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückgezogen hat. So geht das Kriegsgeschehen weiter… Statt einer „Zeitenwende“ in Richtung Hochrüstung, Krieg und Sozialabbau fordern wir von der Bundesregierung: Einsatz für einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine, um Friedensverhandlungen zu ermöglichen – Keine Waffenlieferungen an kriegführende Staaten – Keine Bundeswehreinsätze im Ausland – Beendigung der nuklearen Teilhabe und Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag der UNO – Stopp der Wirtschaftssanktionen, unter denen die Menschen hierzulande wie auch weltweit leiden – Stopp der weiteren Aufrüstung der Bundeswehr zum 2 Prozent-Ziel der NATO – Diplomatische Anstrengungen für Abrüstung und weltweite gemeinsame Sicherheit…”

Eugen Drewermann deutscher Theologe, Psychoanalytiker und Schriftsteller. Als suspendierter römisch-katholischer Priester ist er 2005 aus der Kirche ausgetreten.

Am Schluss der Rede von Eugen Drewermann trug der Schauspieler Manni Laudenbach das Gedicht von Wolfgang Borchert vor „Dann gibt es nur eins! „Sag Nein!

Wolfgang Borchert (* 20. Mai 1921 in Hamburg; † 20. November 1947 in Basel) Er schrieb Kurzgeschichten, Gedichte und das Theaterstück, Draussen vor der Tür. 1941 wurde Borchert zum Kriegsdienst in die Wehrmacht eingezogen. An der Front zog er sich schwere Verwundungen und Infektionen zu. Mehrfach wurde er wegen Kritik am Regime des Nationalsozialismus und sogenannter Wehrkraftzersetzung verurteilt und inhaftiert. Er starb mit 26 Jahren an den Folgen seiner Lebererkrankung in Basel.

„Dann gibt es nur eins! „Sag Nein!“

Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre. dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN! Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Haßlieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr fahren – sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen,
du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransport, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo – Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:
dann:
In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffe stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben –
die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen kraterzerrissenen Straßen –
eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen, gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig, unaufhaltsam – der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken –
in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln –
in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und Kirschsaft verkommen – das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln — zerbröckeln — zerbröckeln —
dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend – und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch – all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn – wenn – wenn ihr nicht NEIN sagt.
 
zitiert aus: Wolfgang Borchert, Das Gesamtwerk, Rowohlt 1986, Seite 318 ff

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert