Militärintervention in Mali: Ein untaugliches Mittel zur Terrorbekämpfung

Am 11. Januar dieses Jahres intervenierten französische Streitkräfte in Mali. Keine andere militärische Intervention seit Ende des globalen Ost-West-Konflikts vor über 20 Jahren stiess (und stösst weiterhin) auf so viel Unterstützung und so wenig Widerspruch und Zweifel, wie dieser jüngste Krieg Frankreichs in seiner ehemaligen nordafrikanischen Kolonialregion.

von Andreas Zumach, Genf

Der fast vollständige Konsens der Zustimmung zur «Operation Serval» gilt international für den UNO-Sicherheitsrat und andere multilaterale Institutionen ebenso wie für die innenpolitische Debatte in der Schweiz und allen anderen europäischen Ländern sowie für die Bewertung dieser militärischen Intervention in den Medien. Bestätigt sehen sich die Befürworter der Intervention durch die schnellen militärischen Erfolge der französischen Streitkräfte: Innerhalb von drei Wochen befreiten sie alle nordmalischen Städte von den islamistischen Milizen, die diese Städte seit Frühsommer 2012 kontrolliert hatten. Doch der Kurzbesuch in Timbuktu, bei dem Präsident François Hollande Anfang Februar den schnellen ‘Sieg’ der französischen Truppen feierte, erinnert sehr an den Auftritt, bei dem der ehemalige US-Präsident George Bush am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln vorschnell den ‘Sieg’ der USA im Irak verkündete.

Keine nachhaltigen Befriedungen
Es bleiben – einmal völlig abgesehen von einer grundsätzlich pazifistisch motivierten Ablehnung des Einsatzes militärischer Mittel in Mali – weiterhin erhebliche Zweifel, dass diese Mittel geeignet sind, um die offiziell proklamierten Ziele der Intervention zu erreichen. Laut den öffentlichen Erklärungen der Pariser Regierung lauten diese Ziele: «Terroristen und islamistische Rebellen bekämpfen, vertreiben und vernichten»; «Sezession verhindern und die territoriale Integrität des Landes wiederherstellen»; «Drogenschmuggel und Bandenkriminalität unterbinden».
Mit ähnlichen und teilweise noch weiterreichenden Zielsetzungen (Stabilisierung, Frieden, Wiederaufbau, Demokratie, Rechtsstaat, Menschen- und Frauenrechte) wurden fast sämtliche Militärinterventionen und Kriege seit Ende des Ost-West-Konfliktes und insbesondere seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 begründet. Sei es in Tschetschenien, Afghanistan, Somalia, Irak oder anderswo.
Bei allen diesen Interventionen waren die Konfliktursachen und -bedingungen jeweils unterschiedlich. Doch eines haben all diese militärischen Interventionen gemeinsam: In keinem einzigen Fall wurden – trotz zum Teil schneller militärischer Erfolge – die offiziell proklamierten Ziele der Intervention dauerhaft erreicht. Und schon gar nicht gelang eine nachhaltige Befriedung der jeweiligen Konflikte durch Überwindung ihrer politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder anderweitigen Ursachen. Auch der von den USA seit nun schon fast 30 Jahren mit militärischen Mitteln geführte Krieg zur Bekämpfung des Drogenanbaus in Mittelamerika ist gescheitert. In einigen Fällen wirkten die militärischen Interventionen sogar kontraproduktiv und führten statt zur angestrebten Schwächung oder gar Vernichtung der jeweils bekämpften Gruppierungen zu deren Stärkung.

Wenig Interesse an Waffenkontrolle
Angesichts dieser Erfahrungen steht zu erwarten, dass sich auch im aktuellen Fall Mali die Militärintervention als untaugliches Mittel zur Durchsetzung der proklamierten Ziele erweisen oder gar kontraproduktiv auswirken wird. Zumal, da wesentliche Ursachen für die innenpolitische Krise in Mali sowie entscheidende Faktoren für die Stärkung der jetzt bekämpften islamistischen Gruppierungen ausgeblendet bleiben: Mali war keineswegs der stabile demokratische Musterstaat, als der er in westlichen Medien häufig dargestellt wurde. Die Zentralregierung schürte durch jahrelange, systematische Benachteiligung des Nordens die Autonomie- bis Sezessionsbestrebungen der dortigen Tuareg.
Doch stark genug, um im April 2012 ihren eigenen Staat auszurufen, wurden die Tuareg-Befreiungsbewegung MNLA und die mit ihnen zunächst noch verbündeten islamistischen Gruppen erst dank der vielen Waffen aus dem libyschen Bürgerkrieg sowie dank mehrerer Tausend aus Libyen geflohener Kämpfer, die zuvor Ghaddafi unterstützt hatten. An der Kontrolle dieser Waffen zeigte die damals von Frankreich, Grossbritannien und den USA geführte Kriegsallianz gegen Ghaddafi nach dessen Sturz ebenso wenig Interesse wie an der Verhinderung von Racheakten gegen Sympathisanten des früheren Regimes. Bei den jetzt von Frankreich bekämpften radikalislamischen Gruppierungen, die der gemässigten, sufistisch-islamischen Bevölkerung Malis die Scharia aufzwingen, handelt es sich um Wahhabiten. Finanziert werden sie – ähnlich wie einst die Attentäter von 9/11 – vom Ölstaat Saudi-Arabien, dem wichtigsten Verbündeten des Westens im Nahen und Mittleren Osten.

Droht ähnliche Entwicklung wie im Irak?
Die Zweifel an der Tauglichkeit der militärischen Intervention in Mali zur Erreichung der proklamierten Ziele bestehen grundsätzlich –unabhängig davon, ob die Intervention allein von Frankreich geführt wird, oder von der EU, der Nato, der westafrikanischen Staatenallianz Ecowas oder einer UNO-Truppe. Doch die allein von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich begonnene «Intervention im klassischen neokolonialen Stil schmutziger Afrikakriege» (so der Afrikaexperte der Berliner ‘Tageszeitung’ taz, Dominic Johnson am 14.1.2013) ist das ungünstigste aller denkbaren Szenarien.
Denn die Intervention durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich enthält das grösste Rekrutierungspotenzial für die radikalislamischen und potenziell terrorbereiten Gruppierungen in ganz Nordwestafrika. Die Geiselnahme auf dem algerischen Ölfeld In Aménas sowie die ersten Selbstmordattentate in malischen Städten Anfang Februar lassen auch für Mali und die Nachbarländer eine ähnliche Entwicklung befürchten, wie im Irak in den Jahren nach Bushs Siegesrede vom 1. Mai 2003 oder wie in Afghanistan, nachdem die Taliban dort im Mai 2006 einen Strategiewechsel weg von der offenen Feldschlacht mit NATO-Streitkräften im Süden des Landes hin zu einer landesweiten «Kampagne Hinterhalt» mit Sprengstoffanschlägen und Selbstmordattentaten in ganz Afghanistan vollzogen.

Kampf um Uranminen in Mali und Niger
Die Zweifel an der Tauglichkeit militärischer Instrumente zu Erreichung der von Paris offiziell proklamierten Ziele gelten auch unabhängig davon, ob Frankreich daneben oder gar vorrangig andere Interessen verfolgt. Dafür gibt es allerdings erhebliche Indizien. Frankreichs Energiebedarf wird zu 75 Prozent durch Atomstrom gedeckt. Die vom – weltgrössten – französischen Atomkonzern Areva ausgebeuteten Uranminen in Malis östlichem Nachbarland Niger (Region Arlitt) liefern bislang schon mehr als ein Drittel des Bedarfs der französischen Atomkraftwerke.
Dieser Anteil soll nach Erschliessung neuer Uranfelder in Niger in der Region Imouraren bis 2020 auf über 50 Prozent steigen. Areva erwarb die Erschliessungsrechte nach einem erbitterten Konkurrenzkampf mit dem grössten chinesischen Atomkonzern. Bislang investierte Areva bereits über 1,2 Milliarden Euro in die Erschliessung der Uranfelder in Imouraren. Doch auch diese Felder werden in absehbarer Zeit ausgebeutet sein. Für die Zeit danach richtet sich Frankreichs Interesse auf bislang noch völlig unberührte Uranfelder im Nordwesten Malis.

Aus: FRIEDENSZEITUNG Nr. 4 vom März 2013 (Probenummern unter info@friedensrat.ch)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert