„Ich erlebte die Landschenkungsbewegung Vinoba Bhaves in Indien“
Vom 19.-26. Juni besuchte die 87jährige Gandhianerin Geeta Mehta aus Indien die Schweiz. In jungen Jahren zog sie mit Gandhi‘s Nachfolger Vinoba Bhave im Rahmen seiner grossen Landschenkungskampagne von 1960 -65 zu Fuss während 5 Jahren durch die indischen Bundesstaaten. Nach ihrer Heirat mit Subash Mehta erwarb sie den Doktortitel und wirkte von 1973 – 2000 als Leiterin der Philosophischen Abteilung des Maharishi Dayanand College in Mumbai. Dort entstand auch ihr Hauptwerk „Ahimsa – von Mahavira zu Mahatma“. Schon früher hatte sie auf dem Weg zu Kongressen bei uns in der Schweiz Station gemacht; nun kam sie zu Besuch, um die Schweiz zu entdecken. Unser Mitglied Ueli Bachmann, Marlies Schwab (SERVAS) und France und Ueli Wildberger begleiteten sie dabei. Das Interview mit Geeta Mehta wurde geführt von Ueli Wildberger.
UW: Was brachte Dich zur Gewaltfreiheit?
Geeta: Schon im College faszinierte mich die Philosophie. Zunächst schloss ich mich während 6 Monaten auf meiner spirituellen Suche Sri Aurobindo an. Dann traf ich Damodardas Mudanda, Sekretär von Vinoba in Mumbai, der mir die Augen öffnete, dass es eine Verbindung von spiritueller und politischer Entwicklung braucht. Als mein Onkel mich verheiraten wollte, floh ich zu Vinoba Bhave, dem berühmten Nachfolger Gandhis nach Benares.
UW: Worum ging es in der indischen Landschenkungsbewegung?
Geeta: Vinoba Bhaves Idee war eine wichtige Weiterentwicklung des Satyagraha-Konzepts von Gandhi. Nach der Unabhängigkeit Indiens 1948 und dessen Tod sah Vinoba im riesigen Agrarland Indien das Landproblem als die zentrale Aufgabe Dabei nahm er die Vision von Gandhi auf, dass der Freiheit und Wohlfahrt der Millionen von Indern am besten mit der Entwicklung eines Meers von dezentralen, autonomen Dorfgemeinschaften gedient sei. Also machte sich Vinoba auf, und zog während 20 Jahren von Dorf zu Dorf, versammelte jeweils die Dorfbevölkerung und fragte sie, wieviel arme Landlose dort ansässig seien. Wenn er den Landbedarf ausgerechnet hatte, bat er die Landbesitzer und Dorfmagnaten um Landschenkungen. Und liess nicht locker, bis er das nötige Land beisammen hatte.
UW: War diese ungewohnte Methode erfolgreich?
Geeta: Ja, denn Vinoba war quasi als Heiliger in ganz Indien bekannt. Und er betonte, dass eine der wichtigsten Eigenschaften einer gewaltfreien Haltung die Bereitschaft zum Dienen, ja zum Opfer für andere sei. In einem demokratischen Land wie Indien gehe es nicht mehr um gewaltfreien Widerstand, sondern um geduldige, freiwillige Überzeugungsarbeit.
UW: Kannst Du schildern, wie ein Tagesablauf auf dieser Bhoodan-Wanderung aussah?
Geeta: Normalerweise standen wir um 2 00 h in der Früh auf, um 3 00 h fand das Gebet statt, dann machten wir uns auf den 10-15 Meilen-Marsch, bevor die grösste Hitze kam. Zu essen hatten wir ein wenig Reis, Kürbis, da wir in Indien ja vegetarisch leben. Vinoba erwartete von uns, die jeweilige Sprache zu erlernen: „Träumt sogar in Assamese!“
UW: Gab es auch Probleme in der Landschenkungsbewegung?
Geeta: Ja, mit der Zeit realisierten wir, dass Land allein nicht genügt, es braucht ja auch Saatgut, Geräte, Kenntnisse. Vinoba erweiterte deshalb das Konzept zu ‚Dorfschenkung‘ (Gramdan). In jedem Dorf fragten wir: Was ist gut für die Gemeinschaft? Erwartet keine Hilfe von der Regierung; setzt auf Eure eigene Kraft! Was sind eure Pläne, um die Armut zu durchbrechen? Gebt 20% für Witwen und Arbeitslose ab! Sein Gebot: Boden muss im eigenen Dorf bleiben, darf nicht gegen aussen verkauft werden. Unser Ziel war, eine demokratische Dorfgemeinschaft der gegenseitigen Hilfe und Zusammenarbeit zu fördern.
UW: Hast Du auch schwierige Momente erlebt?
Geeta: Ja, in Assam und Bengalen waren wir zu acht mit Vinoba während 6 Monaten unterwegs, um den Sprachstreit zwischen den beiden Völkern zu schlichten. Dabei übte Vinoba nicht Kritik an den Menschen: „Nicht die Beschränktheit der einfachen Leute sind schuld, sondern die Medien voll von Tod und Gewalt!“ Während des Monsuns standen wir manchmal bis zum Hals im Wasser, und wurden von Blutegeln geplagt. Aufgrund der kargen Ernährung bekam ich ein Magengeschwür; Vinoba verordnete mir Suppe, Milch und Fasten. Kühe dort geben allerdings nur ½ L pro Tag. Aber obwohl Kühe heilig sind, hat Lord Krishna erlaubt: Fleisch nein; Milch ja. Darum gibt’s eine Tradition an Festivals dort: Menschen bilden eine Pyramide und die obersten Kinder halten eine Schale mit Butter hoch. Diese wird dann in der Stadt verkauft. Oft verglich Vinoba Land und Stadt mit einem Blinden und Lahmen, die aufeinander angewiesen sind: Der Blinde trägt den Lahmen, der ihm dafür die Richtung weist. So nährt das Dorf die Stadt, die ihm dafür Wissen, Technik und Kultur schenkt.
UW:Welches waren und sind die Prinzipien der gewaltfreien Bewegung?
Geeta: Wir versuchen, nach 7 Gelübten zu leben: Landarbeit mit eigenen Händen, Spinnen, Kühe heilig halten, Waisen nähren, Bäume pflanzen, die Alten ehren und die Religion hochhalten.
UW: Wie steht es heute mit der Gandhi-Bewegung?
Geeta: Heute wird das Erbe Gandhis und Vinobas an vielen Orten weitergepflegt. Es bestehen wie Oasen oder Taschen von Modell-Gemeinschaften, die das gewaltfreie Leben an ihrem Ort gemeinschaftlich weiterentwickeln. Die grossen Vorbilder sind weg, aber wie Vinoba sagte „ Bei Neumond kommen die vielen kleinen Sterne besser zum Leuchten“
UW: Und wie hat sich Dein Leben weiterentwickelt?
Geeta: Mit meinem Mann und als Mutter einer Tochter habe ich mich nachher v.a. mit Philosophie beschäftigt, und – zusammen mit meinem Mann – viele Bücher und Studien zur Gewaltfreiheit veröffentlicht. Von 2003 -2016 war ich Direktorin des K.J.Somaiya Center für Studien zum Jainismus, der ja den absoluten Respekt vor jedem Lebewesen vertritt. Daneben schreibe ich momentan meine Tagebücher aus den Tagen mit Vinoba nieder.
UW: Geeta, herzlichen Dank für das Gespräch! Wir wünschen Dir noch schöne Entdeckungen in der Schweiz und weiterhin alles Gute.
Mehr zu Geeta Mehta ist auf der Website von Gandhitopia zu finden