Zur humanitären und politischen Lage in Somalia

Somalia liegt am Indischen Ozean. Im Süden grenzt Somalia an Kenia im Westen an Äthiopien und im Norden an Djibouti.

Im Norden: Somaliland und Puntland, relativ friedliche Gebiete. Somaliland wird autonom verwaltet und möchte unabhängig werden. Früher stand es unter britischer Kolonialherrschaft.

Somalia im Süden: Ländliche Gebiete werden zum Teil immer noch von der islamistischen Gruppierung Al Shabab kontrolliert. In der letzten Zeit werden sie von somalischen Regierungstruppen und der Truppe der Afrikanischen Union, der AMISOM immer erfolgreicher bekämpft. Al Shabab verübt in Mogadischu und anderen Städten immer wieder Anschläge. Der Süden Somalias stand früher unter italienischer Kolonialherrschaft.

Somalia: 18,7 Millionen Einwohner, mit 3,8 Millionen intern Vertriebenen

In Somalia leben 18,7 Millionen Menschen, davon in der Hauptstadt Mogadischu etwa drei Millionen. Somalia ist über 15-mal grösser als die Schweiz und etwa 1,8-mal so gross wie Deutschland. Mehr als 3,8 Millionen Menschen in Somalia wurden durch den schon über 30 Jahre dauernden Krieg und durch Naturkatastrophen gezwungen ihre Region zu verlassen. Sie leben unter katastrophalen Bedingungen in Camps am Rande der grossen Städte. Frauen und Kinder machen 80 Prozent der internen Flüchtlinge aus und sind grossen Risiken ausgesetzt.

In Merka in der Stadt, in der das Schweizer Hilfswerk Swisso Kalmo seit über 35 Jahren ein Ambulatorium betreibt, leben etwa 100’000 Menschen und auch viele intern Vertriebene. (1) www.swisso-kalmo.ch

Intern Vertriebene am Rand der Stadt Merka (Foto Swisso Kalmo)

Infos der Uno-Organisation für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten OCHA

Somalia erlebte im letzten Jahr, 2023, die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten. Nach der Dürre folgten Überschwemmungen, wie sie Somalia seit Generationen nie mehr gesehen hatte, schreibt die UNO-Organisation für die Koordinierung von humanitären Angelegenheiten OCHA. (2) Somalia | OCHA (unocha.org)

Rund 6,7 Millionen Somalier waren im letzten Jahr vom Hunger bedroht. Über eine halbe Million Kinder waren lebensbedrohlich mangelernährt. In den ersten zwei Lebensjahren ist die Unterernährung für ein Kind sehr gefährlich. Das Hirn kann sich nur mangelhaft entwickeln, so dass es später viel schlechter lernen kann als ein Kind das gut ernährt wurde.

Überschwemmungen auch in Merka, Infos von Swisso Kalmo

Von Merka erhielten wir, von Swisso Kalmo, im November 2023 einen Bericht über Fluss-Überschwemmungen. Mehrere Dörfer im Distrikt Merka in der Provinz Lower Shabelle wurden durch starke Regenfälle am 22. November 2023 heimgesucht. Häuser und Bauernhöfe wurden zerstört und die Bewohner mussten fliehen, nachdem sie vergeblich versucht hatten, die Flut einzudämmen.

Mehrere Dörfer im Distrikt Merka in der Provinz Lower Shabelle wurden durch heftige Regenfälle am 22. November 2023 von Überschwemmungen heimgesucht. (Bilder: Swisso Kalmo)

Die Stadt Merka am Indischen Ozean (Bild Swisso Kalmo)

2024 Infos der UNO Organisation OCHA: «Situation in Somalia hat sich verbessert, ist aber immer noch prekär»

Trotzdem sich die Situation in Somalia in diesem Jahr verbessert hat ist der Bedarf an humanitärer Hilfe nach wie vor sehr gross, wie die UNO Organisation OCHA schreibt. Fast jeder fünfte Somalier konnte sich im Monat März nicht genügend ernähren, schätzungsweise 4 Millionen Menschen. Viele Kinder sind von einer akuten Mangelernährung betroffen. 1,7 Millionen Kinder in Somalia im Alter von 6 bis 59 Monaten werden zwischen Januar und Dezember dieses Jahres zu wenig zu essen haben, davon werden 430.000 Kinder wahrscheinlich schwer unternährt sein.

Madow Ahmed, Mutter von drei Kindern spricht mit Mitarbeitern von Hilfsorga­nisation im Yaqbarwe Lager für Vertriebene in Baidoa, in Somalia. Madow’s Familie wie die Bewohner des Flüchtlingslagers werden durch Hilfsorganisatio­nen mit Geld, Medizin, durch den Bau von Wassertanks, Latrinen und Solarpa­nels unterstützt. (Bild: OCHA)

Temporäre Unterkünfte in Twfiq Camp für intern Vertriebene im Distrikt Jowhar (Bild OCHA)

Humanitärer Hilfsplan der UNO für Somalia benötigt 2024 1,6 Milliarden US-Dollar

Für den somalischen humanitären Hilfsplan der UNO werden 2024 1,6 Milliarden US-Dollar benötigt, um 5,2 Millionen Menschen zu helfen. Hilfe wird in Regionen geleis­tet, die am meisten von der Not betroffen sind. Angriffe auf die Helfer und ihre Infra­struktur erschweren jedoch die Unterstützungsoperationen.

Sicher wird es für die UNO schwierig sein diese Mittel für die humanitäre Hilfe in Somalia zu beschaffen, angesichts der anderen Katastrophen die Afrika heimsuchen, der Krieg im Sudan unter anderem.

Fussnoten

(1) www.swisso-kalmo.ch

(2) Somalia | OCHA (unocha.org)

Interview mit Bashir Gobdon, Co-Präsident von Swisso Kalmo

Wie ist die politische Situation heute in Somalia?

Im Vergleich vor zwei Jahren hat sich die politische Situation in Somalia verbessert. Die Regierung hat die fundamentalistisch islamische Gruppierung Al Shabab im Grossen und Ganzen besiegt. Al Shabab ist in einigen Orten aber immer noch stark. Was positiv ist: Die Bevölkerung arbeitet mit der Regierung zusammen, die Al Shabab werden als Terroristen betrachtet. Und es ist auch gelungen die Geldflüsse zur Al Shabab zu stoppen, die Einnahmen, die sie erzielten durch Erpressungen, durch erzwungene Zahlungen beim Bau von Häusern. Der Regierung ist es auch gelungen die Erpresser zu identifizieren, ihre Telefonnummern wurden registriert und die Bevölkerung hatte den Mut Nein zu sagen: Wir zahlen nicht mehr. Konten wurden gesperrt. Aber leider sind in diesem Jahr die Operationen gegen die Al Shabab nicht so gut gelungen. Vorher hatte Somalia die Unterstützung der USA und der Türkei, sie hatten Angriffe gegen die Al Shabab geflogen, auch mit Drohnen.

Einwand: «Bei dem Drohnenkrieg, diesen aussergerichtlichen Hinrichtungen kommen nicht nur Terroristen ums Leben, sondern viel mehr Zivilpersonen, Kinder, Frauen und Männer, auch in Somalia.»

Todesstrafe mit US-Drohnen bleiben, auch wenn Nebraska Hinrichtungen abschafft – IFOR Schweiz – MIR Suisse (ifor-mir.ch)

Also in diesem Jahr haben die Amerikaner keine Drohnenangriffe mehr geflogen?

Bashir Gobdon: Die Regierung allein ist nicht stark genug im Kampf gegen die Al Shabab. Sie hat nicht die Waffen, über die die USA und die Türkei verfügen. Aber wir hoffen, dass Al Shabab in Zukunft weniger Sympathisanten in der Bevölkerung haben wird. Aber sie nutzen immer noch die Situation der armen Bevölkerung aus: Jugendliche werden rekrutiert. Aber im Vergleich zu früher hat sich die Situation verbessert. Kürzlich hat jedoch ein neuer Anschlag in Mogadischu im Hafen stattgefunden, mit 40 Toten und vielen Verletzten, an einem Treffpunkt von Jugendlichen.

Die AMISOM Truppen der Afrikanischen Union sind immer noch in Somalia?

Bashir Gobdon: Die AMISOM ist immer noch aktiv aber in diesem Jahr soll sie eine neue Rolle durch die UNO bekommen. Sie wird einen anderen Namen haben, ATMIS, African Union Transition Mission in Somalia. Das Waffenembargo für Somalia wurde zum Teil von der UNO aufgehoben, Somalia kann nun mehr Waffen bekommen.

Ist die somalische Armee eine Berufsarmee?

Bashir Gobdon: Ja, es ist eine Berufsarmee. Die grosse Schwierigkeit ist, die somalischen Soldaten wurden in verschiedenen Ländern ausgebildet. In der Türkei, in Uganda, Äthiopien, in Italien. Es gab keine einheitliche Ausbildung. Man sollte die Soldaten an Ort ausbilden nicht im Ausland.

Wie steht es mit dem Konflikt mit Äthiopien, wollen sie immer noch in Somaliland einen Hafen bauen?

Bashir Gobdon: Äthiopien will als Binnenland einen eigenen Hafen am Indischen Ozean, in Somaliland. Somaliland war mit diesem Plan einverstanden und versprach sich dadurch grosse Vorteile. Somalia im Süden war mit dem Bau dieses Hafens durch Äthiopien in Somaliland aber nicht einverstanden. Somaliland ist kein international anerkannter Staat, es ist nach internationalem Recht ein Teil von Somalia.

Die Türkei hat in diesem Konflikt eine Vermittlerrolle übernommen. In Ankara haben sich im August die Aussenminister von Somaliland, Somalia und Äthiopien getroffen. Sie sollten sich versöhnen. Somalia hat gefordert, der Vertrag für den Hafen in Somaliland soll aufgehoben werden. Aber, Äthiopien hat das bisher nicht akzeptiert. Äthiopien und Somaliland haben immer noch Interesse an einem solchen Hafen am Meer, am Indischen Ozean.

Wie ist das Verhältnis zu Kenia? Sie haben die Rückkehr der Flüchtlinge aus Dadaab nach Somalia gefordert.

Bashir Gobdon: Die Beziehungen zu Kenia sind heute gut, und die Rückkehr der somalischen Flüchtlinge aus dem Flüchtlingslager Dadaab in Kenia nach Somalia ist kein Thema mehr.

Es sind immer noch einige hunderttausend Somalier dort in diesem Lager in Kenia an der somalischen Grenze?

Bashir Gobdon: Ja, aber die Rückkehr ist kein Thema mehr.

Wie es mit dem Hunger, der Unterernährung in Somalia, den Überschwemmungen?

Bashir Gobdon: Im Vergleich zur Situation im letzten Jahr ist es besser. Viele Menschen, die in der Landwirtschaft tätig waren, wurden vertrieben und sind in die Städte gekommen, sie leben an den Rändern der Städte. Wirtschaftlich ist das ein grosses Problem. Sie können nicht zurückkehren, weil die Al Shabab immer noch Druck macht. Das ist ein grosses Problem, da muss man eine Lösung finden. Das sieht man in Mogadischu, wie schwierig das ist.

Da hilft auch das Welternährungsprogramm die Leute zu ernähren?

Bashir Gobdon: Das ist nur vorübergehend eine Lösung. Man müsste einen Plan haben die Al Shabab zu vertreiben, damit die Menschen wieder in ihre Heimat zurückkehren können, aber bis heute wurde dies nicht gemacht. Und: Wie sollen Menschen nach zehn fünfzehn Jahren zurückkehren? Das ist schwierig.

Mogadischu ist eine Stadt von etwa drei Millionen Einwohnern?

Bashir Gobdon: Mogadischuwächst und wächst, das ist ein grosses Problem. Man hat keinen gewählten Bürgermeister. Jede Person, die in Mogadischu an der Macht war, sagte er wolle Wahlen durchführen. Falls es gelingen würde einen Bürgermeister und Gemeinderäte in Mogadischu zu wählen könnte die Al Shabab die Bevölkerung nicht mehr terrorisieren. Das Interesse der Regierung ist den Hafen und den Flughafen in Mogadischu zu kontrollieren, dadurch werden Einnahmen erzielt.



Mogadischu wächst und wächst

Aber der Hafen und der Flughafen steht jetzt unter der Kontrolle der Türkei?

Bashir Gobdon: Nur ein Teil, die grössten Teile des Hafens und des Flughafens kontrollieren Ministerien der somalischen Regierung. Die heutige Regierung hat keine Mittel und keine Macht. Der heutige Präsident Somalias ist seit zwei Jahren an der Macht ohne das Wahlen durchgeführt wurden, die ihn unter der Bevölkerung legitimieren würde. Und vor vier Jahren war die Situation ähnlich. Irgendwann muss die Bevölkerung erwachen und sagen so geht es nicht weiter. In Mogadischu sind die grossen Steuerzahler. Aber die anderen Regionen Puntland, Jubaland, Somaliland zahlen nichts. Die Parlamentarier und die Minister leben in Mogadischu. Das muss geändert werden.

Der somalische Präsident Hassan Sheikh Mohamud in Luzern, anlässlich der Ukrainekonferenz in der Schweiz

Sind die Schulen, die Universitäten die Strom- und Wasserversorgung immer noch in privater Hand?

Bashir Gobdon: Viele Somalier, die in Somalia geblieben sind, haben in den 90er Jahren viele private Schulen und Universitäten eröffnet. Jetzt versuchen sie, dass die Kinder von Menschen, die kein Einkommen haben auch Schulen besuchen können. Sie haben 2000 Lehrer angestellt in den letzten zwei Jahren. Wie sie die Löhne organisiert haben, weiss ich nicht. Das Ziel ist, wieder ein einheitliches Schulsystem aufzubauen. Heute gibt es viele Schulen die Araber, Leute aus fremden Ländern, Nichtregierungsorganisationen betreiben.

Was arbeiten die Menschen in dieser riesigen Stadt Mogadischu, in Handwerksbetrieben, in der Industrie?

Bashir Gobdon: Somalia ist ein freies Land, jeder kann etwas machen. Wohlhabende Leute sind sehr reich geworden, aber nur eine kleine Gruppe. Zum Beispiel in der Telekommunikation. Sie ist die Beste in Afrika, auch die privaten Flüge, die Fluggesellschaften. In Somalia kann man nicht mit dem Bus von Ort zu Ort reisen, da dies gefährlich ist, Al Shabab bedroht Reisende. Aber nur wer Geld hat, kann mit dem Flugzeug sich im Land bewegen. Darunter leiden die Menschen. Viele Länder sehen das, sie profitieren von Somalia, die Nachbarländer, Kenia, Dschibuti, Äthiopien. Die somalische Diaspora, drei Millionen Somalier im Ausland unterstützen ihre Familien in Somalia und von diesen Geldransfers profitieren sie. Auch von den Übernachtungen in Hotels in Mogadischu profitieren ausländische Investoren.

Es wird in Somalia vom Ausland mit Profit investiert?

Bashir Gobdon: Auch Somalier nützen die Situation aus. Sie haben einen kenianischen, dschibutischen Pass. Wir nennen sie somalische Geschäftsleute aber sie haben noch einen anderen Pass. Ein chinesischer Botschafter bestätigte mir, dass viele somalische Geschäftsleute, die nach China kommen auch noch einen anderen Pass haben von Kanada, Amerika, von skandinavischen Ländern.

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