Schulden- und andere Krisen interpretiert

Kürzlich auf David Graeber aufmerksam geworden, habe ich angefangen, seine Bücher zu lesen und bin begeistert: Graeber’s Aufsätze sind von grösster Aktualität und überaus gut zu lesen – obwohl aus dem Englischen übersetzt. Sie sind gar spannend. Man braucht nicht überall einig zu sein mit ihm, es ist eine Herausforderung und eine Ermutigung zugleich. Da wird vieles in Worte gefasst, was man wahrnimmt oder ahnt. Graeber ist Anthropologe und hat eindrückliche Geschichtskenntnisse. Obendrein auch praktisch und humorvoll.

Das Buch Kampf dem Kamikazekapitalismus hätte ich wegen dem Titel vielleicht nicht gekauft. Der klingt mir reisserisch. Da gefällt mir der englische Originaltitel besser: Essays on Politics, Violence, Art and Imagination. – Aufsätze zu Politik, Gewalt und Imagination. Wie erfrischend, die Weltereignisse und ihre Geschichte im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenhang von einer andern als der gängigen zu bedenken. Nicht dass das alles neu wäre, aber es ist treffend, und weitsichtig dargestellt, ohne zu moralisieren. Freakonomics angewandt!

Schulden – die ersten 5000 Jahre. Runde 500 Seiten Geschichtsbetrachtung, die vom Schulwissen und von der landläufigen Sichtweise nicht nur abweicht, sondern sie gründlich hinterfragt und teilweise als irreführend entlarvt. Dieses Werk ist auch vom philosophischen und theologischen Interesse her lesenswert, denn die Schuldfrage ist tiefgreifend aufgegriffen als existentielles Thema: Wem bin ich was schuldig als geborener Mensch? Dabei lässt sich Graeber nicht auf die Versuchung ein, die abendländische christliche Tradition anzugreifen bzw. zu verteidigen. Vielmehr schafft einen wahrhaft inter-religiösen Ansatz, was der Thematik und Situation ganz entspricht.

Für Menschen, die sich um Gewaltfreiheit und Versöhnung interessieren, bzw. engagiert sind in diesen Bereichen, ist solche Lektüre von grosser Bedeutung und äusserst hilfreich. – Ganz abgesehen davon, dass sie Mut macht und Gelassenheit vermittelt.

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