Nachruf Hansjörg Weigel

Hansjörg Weigel Friedenskämpfer in der DDR ist tot

Am 29. April 2020 starb mein Freund Hansjörg Weigel mit 77 Jahren an den Folgen einer Corona-Infektion. Er war einer der aussergewöhnlichsten Menschen, die ich kenne. Sein unerwarteter Tod trifft seine Familie und alle seine vielen MitkämpferInnen hart! 

In den 70er Jahren hörte ich auf einer Besuchsreise in die DDR von einem Friedensseminar in Königswalde/Thüringen, dessen Initiant und geistiger Kopf Hansjörg war. Ich nahm an einem der halbjährlichen Seminare mit etwa 200 Teilnehmenden in der kleinen, überfüllten Dorfkirche teil. Die für die DDR ungewohnt freimütigen und kritischen Auseinandersetzungen – immer unter dem Damoklesschwert der Stasi-Ohren – schufen eine besondere, ernsthafte Stimmung und waren für mich eine Offenbarung. Sie zeigten, dass auch unter den Bedingungen der Diktatur mit dem nötigen Mut freies Denken und offene Worte möglich waren. Zwar wurde Hansjörg 1980 mehrere Monate inhaftiert. Die vielen Proteste zeigten aber auch, dass Mut neuen Mut erzeugt, und dass auch in der DDR die Solidarität der Evangelischen Kirche ein gewisses Schutzschild bedeuten konnte und schliesslich wohl auch seine vorzeitige Freilassung bewirkte. 
Hansjörg verweigerte mit 20 Jahren 1963 den Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee der DDR und wurde ersatzweise als Bausoldat eingesetzt. Dadurch fühlte ich mich ihm sehr seelenverwandt. Beide hatten wir uns geweigert, eine Waffe in die Hand zu nehmen und Militärdienst zu leisten. Hansjörg als Bausoldat, ich, indem ich dafür ins Gefängnis ging. Beide standen wir als Aussenseiter im Abseits unserer Gesellschaft. Beide suchten und kämpften wir intensiv für eine demokratische, gewaltfreie, gerechtere Welt, für das Reich Gottes schon jetzt und hier. 

Unvergesslich ist mir, wie Hansjörg mir bei einem der ersten Besuche erzählte: “Weisst Du, hier in der DDR bist Du am freiesten ganz unten in der Hierarchie. Denn im DDR-Sozialismus hat jeder ein Recht auf Arbeit. Als einfacher Automechaniker können sie mich – auch wenn ich unverblümt und frei meine Meinung sage – nicht weiter zurückstufen. Allenfalls können sie mich zur Strafe den Hof wischen lassen…!”

Immer wieder diente mir sein Vorbild in meinen Vorträgen als Beispiel für gewaltfreies Widerstehen auch in der Diktatur. Und umgekehrt erinnere ich mich, wie ich in den 80er-Jahren bei einem Besuch meine über die Grenze geschmuggelte Dia-Serie über unsere gewaltfreie PBI (Peace Brigades International)-Schutzbegleitung in der Militärdiktatur von Guatemala zeigte. Die Präsenz des Internationalen PBI-Teams erlaubte einheimischen MenschenrechtlerInnen wie Nineth de Garcia, trotz Todesdrohungen sich hartnäckig für die Aufklärung des Schicksals von Zehntausenden von Entführten einzusetzen – ihr Mut in Todesgefahr bestärkte wiederum meine DDR-Freunde in ihrem Engagement. 

Auch wenn ich nur alle paar Jahre in die DDR zu Besuch kam: Jedesmal, wenn ich seine Familie auf dem Dorf in Königswalde besuchte, empfingen mich Hansjörg, seine Frau Maria und ihre beiden Kinder mit überströmender Herzlichkeit, führten mich voll Stolz auf dem grossen viereckigen Hofgeviert herum, und zeigten mir und France, was wieder Neues ausgebaut worden war. Anschliessend ging’s ans Erzählen, oft bis tief in die Nacht. 

Nun müssen wir von Hansjörg Abschied nehmen. Hoffen wir, dass er nach all seinen übersprudelnden Aktivitäten nun Ruhe und Frieden findet in Gottes guten Händen!

Ueli Wildberger

(Photo: Thomas Michel)

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