Der Schweizerische Friedensrat feierte im letzten Jahr sein 75-jähriges Jubiläum. Erst jetzt konnte dieses Jubiläum mit einer Veranstaltung gefeiert werden, mit Vorträgen und einem Hearing, zum Thema «Wie zivil kann Sicherheitspolitik sein?»
Über viele der Besucher des Gartenhofes, Kriegsdienstverweigerer, Waffenausfuhrgegner usw. wurde früher von der Bundespolizei in Bern ein Dossier geführt. Wer damals von diesen Subversiven, den «potenziellen Gefährdern» ein «V» in seinem Dossier, in seiner Fiche hatte, wäre im so genannten Ernstfall interniert worden, wie der Journalist Jürg Frischknecht schrieb. (2) Neue Rheinische Zeitung «Geheimdienst-Aktivitäten auch in der Schweiz» von Heinrich Frei nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20008
(3) Haus Gartenhof in Zürich | Chronos Verlag (chronos-verlag.ch)
Die Jubiläumsveranstaltung des Schweizerischen Friedensrates unter der Leitung von Anna Leissing, einer Sozialanthropologin, fand im Haus zum Korn statt, beim Bahnhof Zürich-Wiedikon im 5. Stock des Saales des VPOD, des Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste. In diesem Saal hört man von Zeit zu Zeit ein leises Grollen. Ein Widerhall von Kriegen in der Ferne, ausgefochten mit Kanonen, Panzerwagen und Munition aus der Schweiz? Nein, das leise Grollen kommt von den Zügen, die durch das Tunnel im Untergrund rollen.
Theodor Ziegler: Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik
Der Titel des Referates von Theodor Ziegler aus Baiersbronn im Schwarzwald lautete: «Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik: Ein Szenario bis zum Jahr 2040». Ziegler war beteiligt an der Ausarbeitung des Berichtes «Sicherheit neu denken» der Evangelischen Kirche Baden-Württemberg. (4) www.soziale-verteidigung.de/artikel/sicherheit-neu-denken
Ziegler erinnerte daran, dass in der Schweiz 1989 35.6% der Stimmberechtigten die Volksinitiative für eine Abschaffung der Armee unterstützt hatten. Sie waren dafür die Sicherheit ohne Armee neu zu gestalten. – (H. Frei: «dass Konflikte nicht mehr aus einem rein militärischen Winkel betrachtet werden.» formuliert es die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee auch heute noch. (GSOA) (5) Armee und Zivildienst | GSoA – Gruppe für eine Schweiz ohne Armee
Christa Lörcher war gegen die Beteiligung am Krieg in Afghanistan
Ziegler: Die Fixierung auf das Militärische zeigte sich in Afghanistan. Die Regierung mit dem damaligen Bundeskanzler Gerard Schröder (SPD), die Bundestagsabgeordneten der Sozialdemokraten und Grünen, stimmten 2001 für die Beteiligung Deutschlands an diesem so genannten Krieg gegen den Terror in Afghanistan. Bei den Sozialdemokraten verweigerte nur die Abgeordnete Christa Lörcher Im November 2001 Kanzler Schröder die Stimme bei der Vertrauensfrage, da daran die Abstimmung über einen militärischen Einsatz der Bundeswehr im Krieg in Afghanistan gebunden war. Christa Lörcher wurde dann vorgeworfen, sie habe kein Gewissen, wie Theodor Ziegler sich erinnerte. (6) Christa Lörcher – Wikipedia.
Deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg: Solidarität mit den USA
Wie Theodor Ziegler in seinem Referat ausführte, soll Schröder die Beteiligung am Krieg im Bundestag nicht inhaltlich begründet haben, sondern nur mit der Solidarität mit den USA, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 für die Osama Bin Laden verantwortlich gemacht wurde. Zu der 9/11 US-Operation siehe: (7)Terroranschlag auf die Twin Towers 11. 9. 2001, http://dorfzeitung.com/archive/86111
Krieg ist in Kultur und Religion verankert
Ziegler führte weiter aus: Die Festnahme von Terroristen ist Aufgabe der Polizei. Aber so lange Armeen zur Verfügung stehen, wird man in Krisenfällen Armeen einsetzen. In Deutschland steht die Bundeswehr zur Verfügung. Die Sozialdemokraten stehen hinter der Nato. Gegenüber dem Militär ist man unkritisch. In Deutschland ist das Militär omnipräsent: Jugendoffiziere besuchen die Schulen, Weihnachtsfeiern mit einem Konzert einer Militärkapelle, immer noch wird «unseren Helden» den Gefallenen gedacht, unkritisch werden Kriegsdenkmäler präsentiert, ohne kritische Anmerkungen.
Der Theologe Ziegler stellte fest: Seit der konstantinischen Wende im Römischen Reich im Jahr 312 nach Christus haben die Kirchen sämtliche Kriege gerechtfertigt. (8) Konstantinische Wende – Wikipedia
Kriege sind in Kultur und Religion verankert. Die Frage ist, brauchen wir überhaupt eine Armee, so Ziegler, ohne Sorge über die Überlegenheit eines Gegners? Konflikte würden eine Wurzelbehandlung brauchen, das heisst die Ursachen von Konflikten müssten behoben werden.
Jetzt geht es darum Weichen zu stellen für eine zivile Sicherheitspolitik, die „Sicherheit NEU denken“ grafisch dargestellt mit fünf Säulen.
Gerechte Aussenbeziehungen. Nachhaltige EU-Nachbarschaft. Internationale Sicherheitsarchitektur. Resiliente Demokratie. Konversion der Bundeswehr.
Wir leben in einer Arche Noah. Angezeigt wären, fairer Handel, faire Rohstoffgewinnung, ein bescheidener Lebensstil, Sicherheit schaffen, nicht gegen jemand, sondern in Kooperation, Abrüstungsschritte. Die Osterweiterung der Nato war ein Wortbruch. Ziegler sieht die Zukunft im Aufbau eine europäischen Polizei als Alternative zur Bundeswehr und die zivile Bearbeitung von Konflikten. Armeen haben nach Meinung von Ziegler da keinen Platz. Atomabrüstung ist wichtig. Armeen verursachen zehn Prozent der Umweltverschmutzung.
Fazit von Ziegler: «Wir haben nicht das Geld für Schwerter und Pflugscharen»
Konkrete Ziele für die Abrüstung wie beim Atomenergieausstieg
Für Ziegler ist es wichtig eine Zieldatierung und eine Wegbeschreibung zu formulieren, um eine zivile Sicherheitspolitik zu erreichen. In Deutschland wurde zum Beispiel beschlossen, das letzte deutsche Kernkraftwerk 2022 abzuschalten und die deutschen Treibhausgasminderungsziele wurden im Klimaschutzgesetz vom August 2021 bis 2040 verbindlich festgelegt. Ein solcher Plan braucht es seiner Meinung nach auch, um das Ziel der UNO, das nach dem Zweiten Weltkrieg formuliert wurde, «künftige Generationen vor der Geisel des Kriegs zu bewahren» endlich zu erreichen. Die atomare Abrüstung ist dabei besonders wichtig, darüber ist man sich fast überall einig. Beim Militärischen fehlen heute konkrete Zeitpläne für die Abrüstung, sogar auch für die atomare Abrüstung. Der Irrweg der Aufrüstung wird sogar fortgesetzt, auch nach dem 20-jährigen desaströsen Einsatz der deutschen Bundeswehr in Afghanistan.
Die neue Regierungskoalition nach Angela Merkel bekennt sich ausdrücklich zur NATO und zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die SPD, die Sozialdemokratische Partei Deutschland, die Grünen und FDP, die Freien Demokraten streben neben der Anschaffung von bewaffneten Kampfdrohnen den Aufbau eines eigenen europäischen Militärs an.
Barbara Haering: Mädchen sollen sich nicht verhüllen müssen, sollen arbeiten und zur Schule gehen dürfen
Zum Referat von Barbara Haering. Sie war von 1990 – 2007 Zürcher sozialdemokratische Nationalrätin. Haering: Im grossen Spannungsfeld müssen jetzt auch nach dem Krieg in Afghanistan Lehren gezogen werden. Vieles hat nicht funktioniert, die Bemühungen der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die Integration in die EU. Von dem weltweiten Anspruch auf grundlegende Rechte, dürfe nicht abgewichen werden. Es kann nicht sein, dass Mädchen sich verhüllen müssen, nicht arbeiten, nicht zur Schule gehen dürfen.
Im Inland fordert Haering eine Politik des „No harm“, kein Schaden anrichten, unter anderem durch Kriegsmaterialexporte. Die Ziele der Konzernverantwortungsinitiative (9) Home – Konzern-Initiative müssen weiter verfolgt werden. Auch die Klima- und Umweltpolitik sei Friedenspolitik. Der Mensch müsse in den Mittelpunkt der Politik gestellt werden, die menschliche Sicherheit im In- und Ausland. Dazu gehört die Verkleinerung des ökologischen Fussabdruckes der Schweiz, die Unterstützung der Bestrebungen der UNO zur kollektiven Sicherheit, der Ausbau der humanitären Hilfe und das Engagement für das Entminungszentrum in Genf.
Barbara Haering war Präsidentin der Friedenspolitischen Initiativen, war auch in Ausschüssen der OSZE tätig, ist heute Präsidentin des Stiftungsrates des Genfer Internationalen Zentrums für humanitäre Minenräumung (GICHD) (10) Geneva International Centre for Humanitarian Demining: Home (gichd.org)
Markus Heiniger: für UNO Friedensmissionen braucht es Soldaten
Markus Heiniger hatte für Helvetas (11) Helvetas | Schweizer Entwicklungsorganisation in Sri Lanka gearbeitet und später für das EDA, das Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten des Bundes in Nepal unter anderem. Heiniger ist der Meinung das nach dem Friedensabkommen in Nepal die Polizei nicht in der Lage gewesen wäre die maoistischen Gruppen und ihre Gegner auseinanderzuhalten. Nach seinen Erfahrungen braucht es für UNO Friedensmissionen Soldaten.
Markus Heiniger erinnerte daran, dass sich die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg von der Militärkultur abgewendet und geöffnet und sich in der zivilen Friedensförderung engagiert habe. 2002 sei unser Land endlich der UNO beigetreten und werde voraussichtlich bald Mitglied des UNO-Sicherheitsrates. Die Schweiz war massgeblich an der Ausarbeitung des Atomwaffenverbotsvertrages in der UNO beteiligt, der kürzlich in Kraft gesetzt wurde. Leider wurde dieses wichtige Abkommen vom Bundesrat bisher nicht unterschrieben, bedauerte Heiniger.
Zum Schluss Punkte aus dem Bericht «Sicherheit neu denken» der Evangelischen Kirche Baden-Württemberg
«Militärisch Frieden zu schaffen, erweist sich spätestens in einer globalisierten Welt als nicht zielführend. Diese Politik ist in vielerlei Hinsicht kontraproduktiv. So befeuert der Waffenexport ständig neue Kriegsherde, zu deren Befriedung wiederum sogenannte militärische Friedensmissionen erforderlich werden – ein tödliches Perpetuum mobile.»
«Mit den Rüstungsausgaben werden Finanzmittel – im Jahr 2021 fast 2000 Mrd. USD –, werden Personal- und Wissenschaftsressourcen verschwendet. Sie fehlen für die Beseitigung der wirklichen Konfliktursachen wie des unfairen Welthandels und der fehlenden Bildung, für die Überwindung der ökologischen Selbstzerstörung wie auch für die Pandemiebekämpfung. Die Rüstungsausgaben offenbaren die Mängel im globalethischen Bewusstsein der politischen Entscheidungsträger*innen.»
Fussnoten
(1) Präambel zur Charta der Vereinten Nationen – Wikipedia
(2) Rheinische Zeitung «Geheimdienst-Aktivitäten auch in der Schweiz» von Heinrich Frei, nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20008
(3) Haus Gartenhof in Zürich | Chronos Verlag (chronos-verlag.ch)
Ina Boesch, Ruedi Brassel, Ruedi Epple, Peter Weishaupt, Haus Gartenhof in Zürich, Raum für vernetzte Friedensarbeit
(4) www.soziale-verteidigung.de/artikel/sicherheit-neu-denken
(5) Armee und Zivildienst | GSoA – Gruppe für eine Schweiz ohne Armee
(6) Christa Lörcher – Wikipedia.
(7) Terroranschlag auf die Twin Towers 11. 9. 2001, dorfzeitung.com/archive/8611
(8) Konstantinische Wende – Wikipedia
(9) Home – Konzern-Initiative
(10) Geneva International Centre for Humanitarian Demining: Home (gichd.org)