Leserbrief zum Gedenken an die Ermordung von Dietrich Bonhoeffer vor 50 Jahren am 9. April 1945. Erschienen im „reformiert.“
Bonhoeffer sah schon früh das Verhängnis eines Weltkriegs kommen. Er hatte nicht nur einen Besuch bei Gandhi im Auge, sondern rief 1934 an der ökumenischen Konferenz in Fanö die christlichen Kirchen mit beschwörenden Worten zu einem ökumenischen Weltkonzil auf, das ein machtvolles Wort des Friedens in die Welt des Hasses und der Kriegstreiberei der Nazis hinausrufen sollte.
Als sich die Lage unter der Diktatur Hitlers im mörderischen Weltkrieg immer mehr zuspitzte und Hitler eine massive Judenvernichtung vom Zaun riss, sah er keine Alternative mehr zum bewaffneten Tyrannenmord.
Bonhoeffers Verhängnis war, dass die christlichen Kirchen während 2000 Jahren weitgehend blind geblieben sind gegenüber den immensen Chancen, die Jesus mit seiner Botschaft der Gewaltlosigkeit und Feindesliebe eröffnete. Es blieb einem Gandhi vorbehalten, die Macht einer zielstrebigen Gewaltfreiheit angesichts von Unrecht und Unterdrückung als wirksame Form des Widerstandes zu erweisen.
Aktive Gewaltfreiheit braucht Zeit. Sie versucht schon im Frieden und in den Anfängen, Diskriminierung, Hass, Unrecht und Ungleichheit mit Mut, Ausdauer, Einsatz- und Leidensbereitschaft zu wehren. Wie die Beispiele von Gandhi, M. L. King oder die Wende 1989 in Osteuropa und die neuesten Klimastreiks zeigen, genügen manchmal schon ein paar wenige Entschlossene, damit eine ganze Bewegung inspiriert wird und ein Umdenken in Gang kommt. Gewaltfreiheit funktioniert anders als Gewalt: Sie baut sich sich langsam in kleinen Schritten zu einer machtvollen Bewegung auf. Dieser Prozess braucht Zeit, die Bonhoeffer im Krieg nicht (mehr) hatte. Die er aber gehabt hätte, und die wir und die Kirchen jetzt haben, wenn er vor 1939 oder wir im relativen Frieden mit gewaltfreiem Widerstand schon den Anfängen wehren. Deshalb meine Folgerung: „Jetzt müssen wir mögliche künftige Missstände und Diktaturen vorbeugen und Wege des gewaltfreien Widerstands aufbauen und aufzeigen. Wäre Bonhoeffer nicht umgebracht worden, wäre auch er wohl zu einem der radikalen Gewaltfreien geworden, die sich heute schon in vielen Friedensbewegungen engagieren.
Wann wandeln sich die Kirchen zu Friedenskirchen? Wann machen sie sich offiziell den schwierigen Ruf Christi zur gewaltfreien Nachfolge zu eigen, indem sie Friedensstifterinnen und Mittel freistellen und Friedensprozesse tatkräftig im Dialog, mit Mediationen, mit Schutzpräsenz und Ausbildung in aktiver Gewaltfreiheit, mit Wahrheitskommissionen ins Rollen bringen? Ich denke, mit mutigen Friedenseinsätzen im Einklang mit ihrer Botschaft, könnten die Kirchen gerade auch in den Augen der jungen Generation wieder Glaubwürdigkeit gewinnen!
Ueli Wildberger