Friedensarbeit in Kolumbien – Interview mit Lisa Stalder, PBI

Lisa, Du warst für Peace Brigades International (PBI) während 18 Monaten als Freiwillige in Apartadó in der Provinz Urabá. Welches war deine konkrete Arbeit ?

Ich war im PBI-Feldteam von Urabá als internationale Begleiterin im Einsatz. PBI hat in Kolumbien drei Büros: In Bogotá, Barrancabermeja und Apartadó. Meine Aufgaben umfassten die physische Begleitung von MenschenrechtsverteidigerInnen, die Advocacy-Arbeit auf lokaler Ebene mit VertreterInnen des Militärs und der Polizei, mit zivilen, staatlichen Institutionen wie die Defensoría del Pueblo und internationalen Organisationen wie die UNO. Jede physische Begleitung setzt eine intensive Vorbereitung voraus. Jede Begleitanfrage wird geprüft, die aktuelle Lage im Gebiet, wo die Begleitung stattfinden soll, analysiert und Behörden werden über die Präsenz der PBI-BegleiterInnen informiert. Während den Begleitungen verfolgen die Teammitglieder zu Hause die Entwicklung der Lage und die Bewegungen der PBI-Leute und Begleiteten im Feld aufmerksam mit, um in einem Notfall schnell reagieren zu können. Nach jeder Begleitung gibt es eine interne Auswertung.

PBI ist eine Organisation, die horizontal funktioniert. Entscheidungen werden im ganzen Team per Konsensverfahren getroffen. Dieses erfordert jedoch Zeitaufwand für Sitzungen und gemeinsames Analysieren. Ausserdem gehören auch administrative Aufgaben wie Buchhaltung zum Alltag einer PBI-Freiwilligen.

  • Warst du auch innerhalb der Friedensgemeinde von San José de Apartadó tätig? In welcher Art : Begleitung von bedrohten Gemeindeführern, Präsenz an Anlässen, … ?

Von Urabá aus werden hauptsächlich die Friedensgemeinde von San José de Apartadó, die Comisión Intereclesial de Justicia y Paz in der Bajo Atrato Region und die Kleinbauern und –bäuerinnenorganisation Finca La Europa in Sucre begleitet. 

Ich war auf zahlreichen Begleitungen in der Friedensgemeinde. Diese dauern oft mehrere Tage und führen über mehrstündige Märsche oder Maultierritte in abgelegene, relativ schwer zugängliche Dörfer, die zur Friedensgemeinde gehören. Mitgliedern des internen Rats (Consejo Interno) der Friedensgemeinde können Begleitungen von PBI anfragen. Oft benötigen sie den Begleitschutz, wenn sie sich zwischen den verschiedenen Dörfern (aldeas) bewegen und auf ihren abgelegenen Feldern Arbeit zu verrichten haben, manchmal aber auch in ihrer Hauptsiedlung „La Holandita“ gerade neben San José de Apartadó. Die PBI-Freiwilligen begleiten in den Dörfern der Friedensgemeinde immer in Zweierteams. Ich habe viel Zeit im Dorf Mulatos, in der Aldea de Paz Luis Eduardo Guerra, verbracht, weil ein Gemeindeführer der Friedensgemeinde, der dort mit seiner Familie lebt, stark von der paramilitärischen Gruppe AGC bedroht wurde. Trotz Verbot der Friedensgemeinde begeben sich bewaffnete Akteure immer wieder auf ihr Territorium. Die Präsenz von internationalen BegleiterInnen hält bewaffnete Akteure meist davon ab, das Gebiet der Friedensgemeinde zu betreten.

Ich war auch an mehreren Anlässe der Friedensgemeinde dabei. Z.B. an ihrem 20. Geburtstag am 21. März 2017 oder bei zwei Gedenkfeiern an die Opfer des Massakers von Mulatos vom 21. Februar 2005. PBI-Freiwillige sind an solchen Anlässen mit dabei, weil die Beziehung zwischen der Friedensgemeinde und PBI nach 20 Jahren Zusammenarbeit sehr eng ist, aber auch, um an den Anlässen Sicherheit zu gewähren, damit diese in Ruhe durchgeführt werden können.

Ausserdem gehört die Advocacy-Arbeit zur Begleitung, denn damit wird der Schutz der Mitglieder und Anführer der Friedensgemeinde gefordert. Nach einem Anschlag gegen einen Anführer der Friedensgemeinde am 29. Dezember 2017 hat PBI national und international Druck gemacht, damit der kolumbianische Staat seine Aufgabe zum Schutz der Mitglieder der Friedensgemeinde wahrnimmt, an die er wiederholt vom interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erinnert wurde. Die Friedensgemeinde steht unter speziellen Schutzmassnahmen (medidas provisionales) des interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

  • Wie hast du mit IFOR zusammengearbeitet, die direkt auf dem Gebiet der FG präsent sind ?

Die Zusammenarbeit mit dem FOR-Team vor Ort ist sehr eng. Wenn die Drohungen gegen bestimmte Anführer der Friedensgemeinde besonders akut werden, benötigen diese einen permanenten Begleitschutz. Da PBI auch noch andere Organisationen und Gemeinden begleitet, die ebenfalls bedroht werden, kann PBI alleine diese permanente Begleitung nicht wahrnehmen und wechselt sich deshalb mit FOR und der italienischen Begleitorganisation Operazione Colomba ab. Zwei Freiwillige des FOR-Teams leben in der Friedensgemeinde, während PBI ihr Büro und Haus ausserhalb, in der Stadt Apartadó hat. Die FOR-Freiwilligen verfügen daher über ein sehr detailliertes Wissen über die aktuelle Lage und erfahren früh, wenn etwas passiert. PBI ist auf den Informationsaustausch und die gute Kommunikation mit FOR angewiesen, um die Begleitarbeit zu optimieren. Auch umgekehrt, wenn PBI-Freiwillige von einer Begleitung in einem Dorf der Friedensgemeinde zurückkommen, teilen sie Information mit FOR, damit diese sich auf ihre nächste Begleitung vorbereiten können. In Sachen Advocacy ist die Zusammenarbeit und Koordination ebenfalls wichtig. Denn wenn man zusammenspannt, gemeinsam Forderungen stellt und auf Missstände hinweist, hat dies mehr Gewicht, als wenn jede Organisation ihr eigenes Ding durchzieht.

  • Seit dem vor 2 Jahren unterzeichneten Friedensabkommen sind die FARC aus dem Gebiet der FG abgezogen. Paramilitärische Gruppen nehmen immer mehr Platz ein. Welches sind die direkten Konsequenzen für die Bevölkerung ?

Die Friedensgemeinde veröffentlicht auf ihrer Webseite und Twitter (https://twitter.com/cdpsanjose?lang=de) laufend Information zur aktuellen Lage. In den vergangenen zwei Jahren hat sie vermehrt die Präsenz von paramilitärischen Gruppen dokumentiert. Diese betreten Länder der Friedensgemeinde, wo sie keine bewaffneten Akteure duldet, kündigen an, sie seien gekommen, um zu bleiben und die Kontrolle über Land und Bevölkerung zu übernehmen. Sie zwingen die Bevölkerung sich mit ihnen zu versammeln und drohen denjenigen, die nicht mit ihrer Präsenz einverstanden, die Mitglieder der Friedensgemeinde sind oder sich für die Friedensgemeinde und ihre Menschenrechtsarbeit aussprechen. Anführern der Friedensgemeinde wurde in den vergangenen zwei Jahren mehrmals mit dem Tod gedroht.

Das Verhältnis zwischen den Paramilitärs und der Armee ist zwiespältig. Laut der Friedensgemeinde arbeiten sie zusammen, jedoch kommt es ab und zu auch zu Gefechten zwischen den beiden bewaffneten Gruppen. Die Bevölkerung sieht sich in Gefahr ins Kreuzfeuer zu kommen. Sollten sich Hinweise zur Präsenz von FARC-Rebellen, die sich nicht demobilisiert haben, in San José de Apartadó bestätigen, wird sich diese Situation zuspitzen und wieder auf die Kriegszustände von vor dem Abkommen hinauslaufen. Das ist ein trauriges Szenario für die Bevölkerung von San José de Apartadó, die über viele Jahre hinweg besonders hart getroffen wurde vom Konflikt.

Für demobilisierte FARC-KämpferInnen, die sich in das zivile Leben reintegrieren und zu ihren Familien – u.a. Familien in San José de Apartadó – zurückkehren möchten, stellt die hohe Präsenz und Kontrolle der Paramilitärs ein Sicherheitsrisiko dar. Mehrere ex-Guerilleros wurden bereits ermordet als Strafe für ihre Vergangenheit, obwohl sie nicht mehr kämpften und ihre Waffen abgegeben hatten.

  • Ist das Friedensabkommen mit der Wahl des neuen Präsidenten Duque in Gefahr? 

Das Vertrauen der Zivilgesellschaft und ehemaligen FARC-KämpferInnen in die Regierung Iván Duques ist wohl eher gesunken. Denn dieser hat im Wahlkampf angekündigt einseitig Veränderungen am Abkommen vorzunehmen. Er wird wohl einige Punkte des Abkommens nicht so umsetzen wie vorgesehen. Das Abkommen einfach stürzen wird er aber wahrscheinlich auch nicht können.

Beim Friedensabkommen ging es nicht nur darum, dass die FARC ihre Waffen abgeben. Es sind ausserdem strukturelle Veränderungen wie eine Landreform, die Demobilisierung von paramilitärischen Gruppen, die Substitution von Coca-Plantagen durch alternative Produkte und eine Sonderjustiz für den Frieden mit einer Wahrheitskommission in verschiedenen Punkten des Abkommens vorgesehen. Diese Punkte sind nicht einfach umzusetzen und verlangen politischen Willen. Doch ist deren Umsetzung notwendig, um einen nachhaltigen Frieden zu erreichen. Denn Frieden bedeutet nicht nur Waffenstillstand. Er bedeutet auch Versöhnung, dass die Opfer von Meschenrechtsverbrechen endlich die Wahrheit erfahren und die Täter – ob Guerilleros, Staats- und Armeeangehörige oder Paramilitärs – ihre Verantwortung anerkennen. Er bedeutet würdige Lebensbedingungen, Sicherheit, Zugang zu Land und eine intakte Umwelt, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung. Ob die rechtskonservative Regierung Duques dies alles wirklich anstrebt, wird sich erst noch zeigen müssen.

Eine mangelhafte Umsetzung des Friedensabkommens hätte zudem auch Auswirkungen auf die Möglichkeit, mit der ELN Guerilla und anderen illegalen, bewaffneten Gruppen Frieden zu schliessen, wenn diese am Beispiel des Friedensprozesses mit den FARC sehen, dass die Regierung ihre Versprechen nicht einhält.

  • Seit zwei Jahren hat die Ermordung von MenschenrechtsverteidigerInnen dramatisch zugenommen. Was sagst du zu dieser Entwicklung?

Vor Unterzeichnung des Friedensvertrages war für PBI und andere Organisationen bereits relativ klar, dass die konjunkturellen Veränderungen in einer ersten Phase zu einer Zunahme der Gewalt gegen MenschenrechtsverteidigerInnen führen könnten. Denn der Rückzug der FARC bedeutet, dass vielerorts ein Machtvakuum entsteht, das andere bewaffneten Gruppen oder auch Unternehmen auszunützen versuchen. Die Forderungen der Gemeinden und MenschenrechtsaktivistInnen stehen ihnen dabei im Wege.

Das tatsächliche Ausmass der Gewalt an MenschenrechtsverteidigerInnen und besonders an Land- und UmweltrechtlerInnen war aber überwältigend. Auch wenn insgesamt die Anzahl der Todesopfer gesunken ist, weil es kaum noch Kämpfe zwischen den FARC und der Armee gibt, ist die Zahl der ermordeten AktivistInnen dagegen stark gestiegen seit Ende 2016. Bis heute ist es der Regierung nicht gelungen, diese Menschen effektiv zu schützen. Ich denke, dass viel internationaler Druck nötig ist, damit die kolumbianische Regierung so schnell wie möglich wirksame Massnahmen ergreift. Denn die systematische Ermordung von MenschenrechtsverteidigerInnen kann nicht akzeptabel sein für ein Land, das sich damit rühmt, soeben nach 50 Jahren Konflikt Frieden geschlossen zu haben, dessen ex-Präsident für dieses Abkommen den Friedensnobelpreis erhalten hat, das heute zur OECD gehört, international um Investoren wirbt und nun als sicheres Land für den Tourismus wahrgenommen werden möchte.

Das Interview führte Pjotr Haggenjos

Siehe auch den Bericht auf der Website von PBI

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