Besuch der Friedensgemeinde von San José de Apartadó

Bericht von Pjotr Haggenjos (siehe auch das Dokument zur Schutzbegleitung PDF Colombia Peace Presence)

Im Februar 2013 hat eine Delegation von IFOR Österreich im Rahmen einer Solidaritätsreise nach Kolumbien die Friedensgemeinde von San José de Apartadó besucht und Gespräche mit Politikern, einer Armeebrigade und zahlreichen NGO’s geführt.

IFOR – Internationaler Versöhnungsbund – ist eine Organisation, die 1914 gegründet worden ist und in zahlreichen Ländern – auch in der Schweiz – tätig ist. SERPAJ Schweiz hat dieses Projekt unterstützt. SERPAJ ist eine Organisation, die sich in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern für Frieden und Gerechtigkeit einsetzt. In der Schweiz gibt es eine Unterstützungsgruppe.

Unsere Delegation – angeführt von zwei Langzeitengagierten im Begleitprojekt der Friedensgemeinde – bestand aus 11 Teilnehmern, vorwiegend aus Wien, einer Frau aus Deutschland und mit mir als Mitglied von IFOR-CH und SERPAJ war auch ein Schweizer mit dabei. Viele der Teilnehmenden waren Studenten, v. a. der internationalen Entwicklungspolitik, ein Arzt, eine Journalistin, ein Lehrbeauftragter der Uni, ein Ingenieur, eine Politikerin der Grünen und zwei pensionierte Menschen, also eine buntgemischte Gruppe von Jungen und Junggebliebenen. Was uns verband, war ein Interesse für Kolumbien und seine Menschen, die seit Jahrzehnten die schmerzhaften Folgen des internen Krieges erdulden müssen. Millionen von Menschen sind von ihrem Land vertrieben worden und leben nun am Rand der Grossstädte wie Bogotá und Medellin, Tausende sind umgebracht worden. Die Begegnungen mit Menschen und Organisationen, die sich gewaltfrei für ein friedliches und gerechtes Kolumbien einsetzen, war das wohl wichtigste Ziel unserer Reise.

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Junge Männer ohne Militärausweis werden in die Kaserne mitgenommen und eingemustert.

Die Friedensgemeinde de San José de Apartadó (FG) in der Provinz Antioquia im Grenzgebiet zu Panama gelegen, zeigt mit ihrem Engagement den Willen des Volkes, in Frieden auf ihrem Land leben zu können. 1997 haben sich Menschen in San José unweit der Stadt Apartadó zusammengeschlossen und sind trotz aller Gewalt – von den ca. 1000 Mitgliedern wurden seither mehr als 170 umgebracht, Drohungen und Belästigungen aller Art sind an der Tagesordnung – auf ihrem Land geblieben, bzw. am Anfang auf ihr Land zurückgekehrt, nachdem sie 1996 davon vertrieben worden waren. Sie leben auf 11 Dörfer verteilt, die teils recht weit von einander entfernt sind und oft nur zu Fuss oder zu Pferd erreichbar sind. 2005 war es zu einem Massaker durch Armee und Paramilitärs in Mulatos gekommen. 5 Erwachsene und 3 Kinder wurden bestialisch umgebracht. Der damalige Präsident Kolumbiens, Uribe, hat die FG der Zusammenarbeit mit den FARC beschuldigt und ihnen damit die Verantwortung für dieses Massaker auferlegt. In der Folge hat die Friedensgemeinde, die bereits Kontakte mit internationalen Organisationen hatte, IFOR-USA um eine regelmässige Präsenz auf ihrem Gebiet angefragt. Seit 2005 sind nun immer 3 Mitglieder dieser Organisation, seit 3 Jahren auch eine Person von IFOR-Östereich permanent anwesend und begleiten u. a. bedrohte Personen. Die nun bereits zum 3. mal organisierte Solidaritätsreise, trägt dazu bei, dass die FG auch ausserhalb Kolumbiens bekannt bleibt. Die internationale Bekanntheit ist der beste Schutz für die Menschen, die auf diesem Gebiet leben. “Ohne euch gäbe es uns schon seit langem nicht mehr” wurde uns immer wieder von den Leuten gesagt.

Die Prinzipien der Friedensgemeinde sind Gewaltfreiheit, v. a. keine Bewaffnete, weder Armee, noch Paramilitärs, noch Guerillas auf ihrem Gebiet zu dulden und mit keiner dieser Kriegsparteien zusammenzuarbeiten. Gemeinschaftsarbeit, weitmöglichste Selbstversorgung und kein Konsum und Anbau von Drogen (Coca, Alkohol) sind weitere wichtige Grundsätze. Leider halten sich die bewaffneten Akteure nicht an diese Regeln, in dem von den Paramilitärs kontrollierten Gebiet kommt es immer wieder zu Gefechten, z. T. in unmittelbarer Nähe der Dörfer der FG. Als Folge des Massakers von 2005 hat die FG jede Zusammenarbeit mit dem Staat aufgekündigt. Sie verlangen eine Entschuldigung durch den Präsidenten und die Aufgabe des Polizeipostens in San José, der nach dem Massaker erbaut wurde, angeblich um die Bevölkerung zu beschützen. In der Folge verliessen die Mitglieder der FG San José und errichteten ein paar km weiter eine neue Siedlung San Josesito, auch La Holandita genannt. Das Verfassungsgericht von Kolumbien hat vor wenigen Monaten beschlossen, dass der jetzige Präsident sich für diese Verleumdungen seiner Vorgängers, die schwere Konsequenzen für die Sicherheit der FG hatte, entschuldigen muss. Zur Zeit sind Verhandlungen im Gange in welcher Form diese Entschuldigung erfolgen soll.

Unsere Delegation hat einen Tag in La Holandita verbracht, wo wir ein Treffen mit dem Gemeinderat hatten und auch längere Gespräche mit der Dorflehrerin und Künstlerin Brigida – mit ihren Bildern möchte sie v. a. erreichen, dass all das, was in der Friedensgemeinde geschieht nicht vergessen geht – und auch mit Padre Javier Giraldo, der für das Entstehen und die Existenz der FG sehr wichtig ist und gerade auf der Durchreise nach Mulatos war, wo eine Gedenkfeier an das Massaker von 2005 stattfand. Padre Javier ist ständigen Drohungen ausgesetzt und lebt sehr gefährlich.

Nach einem mehrstündigen Fussmarsch – zwischendurch konnten einige von uns auf ein Pferd steigen – kamen wir in La Union an, wo wir fast eine Woche mit den Menschen von der Friedensgemeinde verbringen durften. Nebst Gesprächen mit Verantwortlichen der Gemeinde besuchten wir die Kakaoplantagen und andere Kulturen wie auch die Versuchsanlage, wo verschiedenste Samen und neue Pflanzen versuchsweise angepflanzt werden. Alle diese Pflanzungen werden “organico”, d. h. biologisch geführt. In La Unión hatten wir auch viele Zeit, um mit den Menschen zu reden, z.B. mit einer Frau, die mit ihrer Familie am Rand der Siedlung in einer ärmlichen Hütte wohnte. Sie waren aus einer andern Siedlung weggezogen, weil dort ihr Haus und Hof von den Paramilitärs in Brand gesetzt worden war und sie ihr ganzes Hab und Gut verloren haben. Die zahlreichen Kinder, die in der FG leben, haben uns oft auf unseren Spaziergängen im und ums Dorf begleitet. Wir waren eine willkommene Abwechslung für sie und sie eine Bereicherung für uns. Bei unserm Besuch haben wir abgesehen von Schüssen, die ein Teilnehmer während der Nacht gehört hat und von einem Militärhelikopter, der das Gebiet überflog, nicht viel von der bedrohlichen Situation mitbekommen. Das Leben in La Unión kam uns oberflächlich betrachtet sehr paradiesisch vor, wie die Menschen mit ihren Kindern und Tieren dort leben. Doch die bedrohliche Situation für die Existenz der FR hat auch während unseres Aufenthaltes weiter bestanden. Im einigen Wegstunden entfernten Esperanza und La Linda, wurden mehrere Menschen bedroht. Paramilitärische Truppen waren dort sichtbar, auch die Armee war anwesend. Mehrere Bauern wurden aufgefordert das Gebiet zu verlassen, ansonsten würde man sie umbringen. Eine weitere Bedrohung sind Sprühaktionen durch kleine Flugzeuge der Drogenpolizei. Angebliches Ziel ist die Vernichtung von Cocakulturen, tatsächlich gab es aber grosse Schäden an mehreren Pflanzungen der FG. Kollateralschäden könnte man wohl zynisch sagen. In Respalosa sind sogar Wasserquellen besprüht worden, die Konsequenzen für die Trinkwasserversorgung kann man sich ja leicht ausmalen.

Die Frage stellt sich, warum diese in Frieden lebenden Menschen nicht in Ruhe gelassen werden und man sie offensichtlich von ihrem Land vertreiben will. Ihr Land ist nicht nur an der Oberfläche sehr fruchtbar, auch der Untergrund ist äusserst reich an Bodenschätzen wie Kohle, Erdöl und Gold. Das Interesse von internationalen Konzernen, diese Reichtümer aus der Erde zu holen, ist enorm und wird durch Freihandelsabkommen, wie sie schon mit den USA und der Schweiz bestehen und wie sie mit der Europäischen Union in der Ratifizierungsphase befinden, noch erleichtert. Auch schweizerische Unternehmen wie Glencore, Xstrata und Nestlé sind jetzt schon in Kolumbienvertreten und kümmern sich z. T. wenig um die Rechte der einheimischen Bewohner und um Umweltanliegen.

Wie geht es wohl weiter mit der Friedensgemeinde. Nebst positiven Anzeichen, wie die geplante Entschuldigung durch den kolumbianischen Präsidenten und dem Ley de Victimas, das unter Santos verabschiedete Gesetz, das die Rückkehr von vertriebenen Menschen auf ihr Land ermöglichen soll, gehen leider im Alltag die Drohungen und Einschüchterung, die Besprühung von Kulturen und andere Unannehmlichkeiten weiter. Zum Glück gibt es die Friedensgemeinde und ähnliche Projekte und sogenannte humanitäre Zonen auch in andern Gebieten Kolumbiens. Die Arbeit der kolumbianischen NGO’s (Anwaltskollektive, die den Bauern der betroffenen Gebiete beistehen, Bauernorganisationen, Militärdienstverweigerer-Gruppen und und und) ist enorm wichtig. Meiner Ansicht nach braucht es auch weiterhin die Präsenz von internationalen Menschenrechtsgruppen, wie den Friedensbrigaden (PBI, IFOR u. a.), um ein Auge auf die Entwicklung zu haben und mit persönlicher Präsenz von Freiwilligen, die sich während eines Jahres oder länger in Projekten wie der FG engagieren. “Ohne Euch gäbe es uns nicht mehr”, wie die Leute der FG sagen, drückt die Erwartung und Hoffnung der Menschen aus und auch wenn es uns übertrieben zu sein scheint, ich glaube, dass diese Anwesenheit doch einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit der Menschen bedeutet. So gehen hoffentlich weiterhin friedensengagierte Menschen dorthin und auch kürzere Solidaritätsreisen wie die unsere haben durchaus einen Sinn und ich hoffe, dass 2014 vielleicht mal auch eine solche Gruppe aus der Schweiz den Weg in die Friedensgemeinde von San José de Apartadó findet oder sich gar ein/e Schweizer/in für einen einjährigen Einsatz engagiert.

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